Besuch des Wendelstein 7X

Chaotikum et yBit at “Thermoskanne” Wendelstein 7-X

Eigentlich steht noch auf der Website des Max Planck Institut für Plasmaphysik, dass es derzeit aufgrund der Corona-Situation keine Hausbesuche und Führungen für Gäste gibt - das soll uns aber nicht daran hindern trotzdem mal hin zu fahren - wozu haben wir schließlich jetzt alle das 9,-Ticket?

Nun hat man schon so lange gewartet und überall wurde gelockert und die Menschen strömen zu Tausenden auf Festivals; sollten wir die Zeit und das 9,-Ticket doch noch schnell nutzen bevor die Inzidenzen wieder in die Höhe schnellen. Also hat Eichi einfach mal dort angerufen und gefragt ob es denn eine Aussicht auf eine Führung in naher Zukunft gibt und siehe da, kaum drei Wochen später haben sich ein paar Chaoten und Kollegen von yBit zusammengetan und eine Besuchergruppe gebildet.

Am 23.06.2022 war es dann soweit, um 06:45 Uhr trafen sich 8 Personen auf Gleis 1 am Lübecker Hauptbahnhof um von dort pünktlich um 07:03 Uhr mit dem ersten RE in Richtung Greifswald zu starten. Man mag es kaum glauben, wir haben extra 2 Stunden Puffer für die 3,5 Stunden Zugfahrt inkl. drei mal umsteigen eingeplant, falls eine Verbindung sich verspätet oder ein Zug ausfällt, aber alle Züge waren pünktlich. So haben wir uns auch noch die wunderschöne Innenstadt mit ihrem grünen Park-Ring mit Bach auf der einen und dem Fluss “Ryck” mit Museumshafen auf der anderen Seite anschauen können. Einige haben im Café gefrühstückt und andere ein Eis und Kaffee genossen, es war ja inzwischen fast Mittag und der Schlafmangel war schon spürbar. Gestärkt ging es dann zur Experimentier-Anlage mit dem Stellarator-Fusionsreaktor des Max Planck Institut für Plasmaphysik Wendelstein 7-X, der in der Forschung führende Reaktor dieser Bauart.

Eingang zum IPP Greifswald, Foto von Eichi
Eingang zum IPP Greifswald, Foto von Eichi CC BY NC Chaotikum.org

Am IPP (Institut für Plasmaphysik) wurden wir dann vom Ingenieur S. F. empfangen und mit einem Einstieg in die Fusionskraft, wie sie auch auf der Sonne stattfindet, Mithilfe einer Powerpoint-Präsentation eingeführt. Der Vortrag begann mit der Grundlage, was also in dem Reaktor passieren soll, im Grunde das Gegenteil von Kernspaltung, die Vereinigung zweier leichter Atome zu einem Schwereren und inwieweit man den Aufbau des Reaktors mit einer Thermoskanne, wie er ihn nannte, vergleichen kann. Mit einer extrem leistungsstarken Mikrowelle werden in der Brennkammer bei über 100 Millionen Grad Celsius in einem Plasma (auch vierter Aggregatzustand genannt) dann zukünftig Wasserstoff-Atome (später auch Deuterium und Tritium) zu Helium fusioniert.

Dabei ist es in dieser Brennkammer sogar noch um ein vielfaches heißer als in unserer Sonne, das hat den Hintergrund, da wir hier auf der Erde keine so hohe Gravitation haben und somit den geringeren Druck durch mehr Hitze kompensieren müssen um den Fusionsprozess in Gang zu setzen. Dazu wurden uns dann auch noch die verwendeten Materialien sowie die Magnettechnik damit nichts verdampft bzw. verbrennt (bei der Temperatur verbrennt jedes Material bei direktem Kontakt), wie gekühlt wird bzw. die durch den Fusionsprozess entstehende Hitze mit Wasserdampf und einem Generator in Elektrizität gewonnen werden kann und dies verglichen mit einer Thermoskanne, die ebenso zwischen dem heiß gehaltenen Getränk und der Außenwände eine Hohlkammer hat, die starke Temperaturunterschiede voneinander trennen kann, da sich dazwischen keine Materialien befinden, die die Wärme leiten können und damit das Plasma die innere Wand nicht berührt werden extrem starke Magnete eingesetzt, die es im Zentrum der Brennkammer schweben lässt. Außerdem wurde uns der Stand der Forschung erklärt, sowie wohin uns die Forschung in Zukunft noch bringen kann und soll: Schlussendlich den immer weiter steigenden Hunger an Energie der Menschheit mit “sauberem” Strom zu versorgen. Sauberer Strom? Naja, fast zumindest: Wird in Zukunft auf deutlich effizientere Brennstoffe wie Tritium gewechselt (zu Forschungszwecken wird noch darauf verzichtet), können auch noch mehr radioaktive Elemente als Abfall entstehen, aber im Vergleich zur Kernspaltung verschwindend gering - ca. 100 Jahre Halbwertszeit (mehrere Millionen Jahre bei Kernspaltung) und eine viel geringere Mengen (Gramm bis Kilogramm statt mehrere Tonnen bei gleicher Energieausbeute) wie S. F. erklärt.

Nach dem Vortrag war es dann endlich soweit, wir wurden wieder zurück in den Eingangsbereich des Forschungsinstituts geführt in dem es eine versteckte Ecke gab wo wir uns Schutzhelme aus einer Kiste nehmen sollten. Anschließend ging es dann durch eine Brandschutztür über eine sehr klebrige Matte in einen abgesperrten Bereich - wir erinnerten uns an die Stelle aus dem Vortrag, an der uns Herr F. erklärt hat wie wichtig es ist, dass es im Reaktor zu keinen Verschmutzungen kommen darf. Zumindest der grobe Schmutz wurde so schonmal von der Unterseite der Schuhe entfernt. Danach kam ein größeres Lager mit interessanten Maschinen in denen schon Experimente gemacht werden konnten, zum Beispiel wie sich bestimmte Bauteile im Vakuum bzw. extrem erhitzt oder gefroren verhalten. Auch gab es hier ein großes Tor nach draußen durch welches wohl Bauteile, Maschinen usw. angeliefert werden. Nun aber endlich gingen wir durch ein noch viel größeres Tor, die dicke Betonmauer (über 1,5m), die separat neben dem Tor stand, hat sich nach einer kurzen Frage zum Tor selbst entpuppt. Denn wir waren schon in der Halle in der der Fusionsreaktor stand, gerade mal 10m weit vom Tor, also uns, entfernt, fast schon anfassbar. Viel näher durften wir dann aber auch schon nicht mehr. Insbesondere damit nichts verschmutzt wird und wir natürlich auch nichts anfassen oder kaputt machen, aber so nah zu sein war schon atemberaubend genug, da stand es, direkt vor uns. Ein Ungetüm aus den Verschiedensten Metallen, Hitzeschilden und vielem mehr - über 725 Tonnen schwer, wovon im Betrieb alleine über die Hälfte auf annähernd 4 Kelvin (nahe Nullpunkt), also fast -270 Grad Celsius, mit flüssigem Helium heruntergekühlt werden muss.

Der Reaktor selbst, Foto von RbR
Der Reaktor selbst, Foto von RbR CC BY NC Chaotikum.org

Uns wurden noch die vielen Löcher (über 250 Stück) im Mantel des Reaktors erklärt, sie nennen sie Pilze, die aus dem Mantel sprießen. Einige davon sind notwendig um Rohre und Kabel für die Kühlmittel sowie Messinstrumente zur Überwachung hineinzuführen; später, im Produktivbetrieb, würden die meisten davon aber nicht mehr benötigt, denn diese sind zusätzlich zu Forschungszwecken eingebaut. Darüber können noch weitere Messinstrumente, Kameras uvm. eingebaut werden, denn viele Wissenschaftler aus diversen Bereichen, interessieren sich für eine Reihe von Reaktionen und Verhalten des Plasmas um weitere Forschungen zu betreiben, denn das macht dieses Forschungsprojekt ebenfalls aus, zahlreiche Staaten beteiligen sich und möchten die Gelegenheit ebenfalls nutzen, sei es um zu helfen, eigene Forschungen zu betreiben, oder, wie zum Beispiel im Falle der USA, wenn ein eigenes Forschungsprojekt zur Fusionskraft aufgegeben wurde, aber eine Beteiligung weiterhin sinnvoll erscheint. Zum Schluss noch wurden wir wieder mehrere Stockwerke nach oben geführt, in einen Raum voll mit Monitoren. Mehrere Kreise mit geschlossenen Bereichen und ein offener Bereich mit mehr als hundert Arbeitsplätzen. In diesem Bereich können sich Gäste und Wissenschaftler aufhalten und über die Thinclients arbeiten um ihre Instrumente und Geräte während des Betriebs zu überwachen und zu steuern. In den kleinen geschlossenen Bereichen befinden sich die Arbeitsplätze der Betreiber, die Reaktorsteuerung uvm. An der großen Wand am Ende des Raums sind dann noch weitere sehr große Monitore montiert über die dann Messdaten usw. für alle ausgegeben werden können. Es fühlte sich an wie an einem Set eines Kontrollzentrums von Raketenabschussanlagen aus Filmen - absolut überwältigend.

Der Controllraum, Foto von Eichi
Der Controllraum, Foto von Eichi CC BY NC Chaotikum.org

Am Ende durften wir noch Fragen stellen, zum Beispiel ob wir bald mit einem Dauerbetrieb und damit auch einer produktiven Nutzung rechnen können, was uns tatsächlich mit nur einem kleinen, aber entscheidenden “Wenn” bejaht wurde: “Wenn die nächsten Experimente, die derzeit vorbereitet werden, im Herbst erfolgreich sind, also der Betrieb über 30 Minuten am Stück, dann gibt es aus unserer Sicht kein Hindernis mehr, in der Physik sind sich die Wissenschaftler einig, die magische Grenze liegt bei den erwähnten 30 Minuten.”. Natürlich muss dann auch noch entsprechend jemand gefunden werden, der die ersten Fusionskraftwerke baut, dazu braucht es” nurnoch” etwas politischen Willen und… Geld.

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